Kobanê, Syrien

Der Bürgerkrieg in Syrien hat seit 2011 rund 12 Millionen Menschen zur Flucht gezwungen. Die Mehrheit dieser Vertriebenen lebt heute noch in grosser Armut und hat nur bedingt Zugang zu medizinischer Grundversorgung. Gezielte Angriffe haben über 75% der Spitäler und anderen Gesundheitseinrichtungen teilweise oder gar komplett zerstört. Die syrische Medikamentenproduktion brach um 40% ein. Ärztinnen, Ärzte, Pflegefachpersonen und freiwillige medizinische Helfer*innen wurden systematisch verfolgt und umgebracht. Dies führte zur Flucht vieler Ärztinnen, Ärzte und weiterer Fachkräfte mit unmittelbarer Konsequenz für das zurückgebliebene Personal, das seither mit noch schwierigeren Arbeitsbedingungen konfrontiert ist.

Der Einmarsch der türkischen Armee Ende 2019 hat die gesamte Region erneut akut destabilisiert. Alleine in den Monaten Dezember 2019 bis März 2020 wurden gemäss ICRC und dem syrisch arabischen roten Halbmond (IFRC) mindestens 780‘000 Menschen in dieser Region binnenvertrieben. Gemäss WHO mussten bis Anfang 2020 erneut mehr als 50 medizinische Einrichtungen ihre Arbeit aufgrund der gezielten Angriffe auf die jeweiligen Einrichtungen aufgeben. Die dadurch anhaltend prekären und sich immer weiter zuspitzenden medizinischen Verhältnisse (chaotische Zustände aufgrund der grossen Fluchtmassen, fehlendes medizinisches Versorgungsmaterial sowie ungenügende Hygiene) bergen unter anderem das Risiko von Ausbrüchen übertragbarer Krankheiten wie Masern, Durchfallerkrankungen und Coronaviren.

Ärzte für Ärzte leistet seit 2015 finanzielle und materielle Hilfe vor Ort. Besonders betroffen von der zerstörten medizinischen Infrastruktur und dem fehlenden medizinischen Fachpersonal, sind die peripheren Regionen. Patient*innen, die eine komplexe operative Behandlung mit intensiver postoperativer Nachbetreuung benötigen, müssen - wenn überhaupt möglich - in entfernte Zentren in Damaskus und Aleppo verlegt werden. Unser Einsatzgebiet konzentriert sich deshalb auf medizinische Einrichtungen in und um Kobanê. Die kurdische Stadt an der türkischen Grenze stand von 2014 bis 2015 während der Befreiung vom IS durch kurdische Volksverteidigungseinheiten (YPG) im Zentrum des internationalen Interesses. Im Februar 2023 erschütterten zwei starke Erdbeben mehrere Gebiete in Nordsyrien. Ende Dezember 2023 haben Luftangriffe mehrere ambulante medizinische Zentren in Kobanê zerstört. Ärzte für Ärzte unterstützt laufend deren Wiederaufbau.

Quellen zum politischen Hintergrund und den Zahlen:

www.unhcr.org
www.icrc.org
www.ifrc.org
www.unocha.org

Dr. Basrawi Ali

Inmitten dieser widrigen Umstände arbeiten Dr. med. Basrawi Ali und sein Team. Der 1974 in Aleppo geborene Facharzt für Orthopädie und Traumatologie führte in Kobanê vor dem Ausbruch des Bürgerkrieges  seine eigene orthopädische Praxis. Mit zwei weiteren Ärzten und drei Pflegefachfrauen betreute er ca. 20 Patient*innen pro Tag. Die Praxis bot Raum für kleinere Eingriffe. Grosse Operationen führte er im damals einzigen Krankenhaus in Kobanê, dem «Ain Al-Arab Hospital», durch. Während des Bürgerkriegs versorgte er seine Landsleute kriegschirurgisch in zum Teil notdürftig errichteten Krankenhäusern. Gezielte Angriffe auf Ärztinnen, medizinisches Hilfspersonal und Institutionen zwangen nach der Zerstörung seiner Praxis im Jahr 2015 auch ihn und seine Familie zur Flucht nach Deutschland, wo sie bis heute leben. Doch jedes Jahr kehrt er für mehrere Monate nach Kobanê zurück und ermöglicht den Menschen vor Ort dringend benötigte medizinische Versorgung. 

Mit monatlich 1000 Euro finanziert Ärzte für Ärzte aktuell die Gehälter eines Praxisarztes, einer medizinischen Praxisangestellten und eines Röntgentechnikers. Zudem übernimmt der Verein einen Grossteil des Jahresgehaltes von Dr. Ali. Pro Jahr betreut das Praxisteam mittlerweile rund 2500 Patient*innen. 

In den vergangenen Jahren hat Ärzte für Ärzte Dr. Basrawi Ali beim Wiederaufbau seiner Praxis in Kobanê unterstützt. Mit einem Crowdfunding konnte der Verein genügend Mittel sammeln, um die Räumlichkeiten mit den wichtigsten Utensilien einzurichten. Benötigt wurden unter anderem Untersuchungsliegen, EDV-Infrastruktur, Mobiliar, Sterilisationsgeräte und das wichtigste diagnostische Hilfsmittel eines Orthopäden: ein digitales Röntgengerät. 

  • 2011 Ausbruch des Bürgerkriegs in Syrien

  • 2015 Gründung des Projekts M3 Nordsyrien für medizinische Hilfe in Kobanê

  • 2019 Gründung des Vereins Ärzte für Ärzte

  • 2019 Crowdfunding für Operationsmaterial (fixateur externe)

  • 2021 Crowdfunding für Praxisausstattung (u.a. digitales Röntgengerät)

  • 2022 Übernahme zusätzliche Gehälter von Praxispersonal in Kobanê

  • 2023 Akuthilfe für Erdbebenopfer in Nordsyrien

  • 2023 Benefizkonzert

  • 2023 Luftangriffe auf medizinisches Ambulatorium / Diabeteszentrum

  • 2024 Crowdfunding für Wiederaufbau des Ambulatoriums

Partner

Verein „Armut und Gesundheit in Deutschland“

Ärzte für Ärzte arbeitet eng mit dem von Prof. Gerhard Trabert gegründeten Verein Armut und Gesundheit zusammen. Der in Deutschland mehrmals durch verschiedene Ehrungen ausgezeichnete Trabert verbringt zusätzlich zu seiner Tätigkeit in Deutschland seit 2001 wiederholt Zeit in Entwicklungs- und Krisenländern. Er setzte sich zudem als Notarzt auf Schiffen der Seas-Watch für die Seerettung von Flüchtlingen ein. Durch seine Besuche vor Ort, u.a. auch in unzähligen Spitäler, kann er sich immer wieder ein konkretes Bild der Lage vor Ort machen und sich die Versorgungsengpässe aufzeigen lassen. Seine Eindrücke fasste er nach seiner ersten Reise nach Kobanê wie folgt zusammen: „Ich befinde mich in einem Kriegsgebiet und die Menschen strahlen etwas zutiefst Friedvolles aus. Klingt skurril, trifft es aber am besten. Und ich, der, der aus einem superreichen, in Frieden lebenden Land kommt, der nach kurzer Anwesenheit wieder in die Sicherheit und Geborgenheit zurückfliegt, dieser Mensch wird hier sofort herzlich aufgenommen“.